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Von Kann-Kindern & der Entscheidung über Freiheit oder Schule

21 Sep 2014

Ich bin schon von ein paar Müttern darauf angesprochen worden, ob wir nicht mal das Thema Kann-Kinder aufnehmen können. Heute ist es soweit, denn Gast-Autorin Ann Lang hat ihre ganz persönliche Meinung darüber zusammengefasst. Auch wir haben unser Kann-Kind nicht mit fünf Jahren eingeschult, allerdings kam auch noch ein Umzug in eine neue Stadt dazu. Auch bei ihr war es die richtige Entscheidung – vom Kopf her war sie auch vor einem Jahr schon weit, allerdings brauchte die Persönlichkeit noch etwas „Reife“. Seit 4 Wochen ist sie nun stolzes Schulkind. Wir freuen uns auch über Eure Meinungen und persönlcihen Erfahrungen, denn sicher ist vor allem Eines: Jedes Kind ist individuell und sollte genau betrachtet werden. Eine allgemeingültige Entscheidung zu treffen, wäre alles andere als sinnvoll.

 

zwergalarm-Kann-Kinder-Umschlag

Von Kann-Kindern und der Entscheidung über Freiheit oder Schule
Mein Sohn ist im Oktober geboren. Genau 9 Tage nach dem Stichtag für die Schule. Damit ist er zumindest hier in Bayern ein sogenanntes „Kann-Kind“. Das heisst, er kann in die Schule gehen bzw. die Familie kann sich mit der Beratung von Erziehern und der Schuleignungsprüfung entscheiden, ob das Kind erst nächstes Jahr in die Schule geht.
Wir haben uns diese Entscheidung für dieses Jahr wirklich nicht einfach gemacht und immer wieder Argumente hin und her geschubst. Natürlich wiegt jedes Argument bei jedem Kind individuell anders und die Entscheidung bleibt dann bei jeder Familie ganz alleine. Aber hier ein paar Punkte, die ich in vielen Gesprächen gesammelt habe – Gespräche mit Eltern von Kann-Kindern, die sie vorzeitig eingeschult haben, mit Eltern, die noch gewartet haben, aber auch mit Erwachsenen und Jugendlichen, die selber entweder vorzeitig oder dann eben mit knapp 7 Jahren erst eingeschult wurden. Ich hoffe, dass ich mit dieser Sammlung ein paar Denkanstösse geben kann und freue mich über eine rege Diskussion!

Punkte, die man bedenken sollte oder Fragen die man sich stellen kann, um zu entscheiden, ob man ein Kind vorzeitig einschult
Wenn man vorzeitig einschult, wird das Kind immer der oder die Kleinste bzw. Jüngste sein in der Klasse. Was macht das mit dem Selbstwertgefühl des Kindes? Kann mein Kind es abhaben, wenn es immer kleiner oder langsamer ist als die anderen?
Mein Sohn ist eher schüchtern am Anfang und verzweifelt recht schnell, wenn etwas nicht so läuft, wie er es will. Auch wenn es sich in den letzten Monaten vor dem Einschulungstermin deutlich verbessert hat, so haben mir wirklich viele „Betroffene“ gesagt, dass sie genau das immer am meisten gestört hat: dass sie immer die Kleinsten, die Langsamsten, die Jüngsten etc. waren. Nicht nur in der Grundschule: gerade in der Pubertät waren sie dann diejenigen, die noch nicht die Sachen durften, die die Älteren schon durften (wie ausgehen etc.)

Was aber bedeutet es auch für das Kind, wenn es als einziger nicht eingeschult wird in seinem Freundeskreis?
An dieser Frage hatten wir einige Zeit zu knabbern. Wir Eltern. Mein Sohn? Nicht wirklich. Natürlich hat er immer wieder nachgefragt und es hat ihn beschäftigt. Aber wir haben immer mit ihm darüber gesprochen, aber kein großes Fass aufgemacht. Und als dann alle Freunde aus dem Kindergarten draussen waren und in die Schule gingen, war das Thema komplett erledigt. Er hat sich einfach neue Freunde gesucht und jetzt eben auch mal mit den Kleineren gespielt. Die Tatsache, dass er jetzt Fussballspielen darf und der Größte in der Kita ist (siehe unten), wiegt wohl viel für ihn.
Man sollte die körperliche Entwicklung des Kindes berücksichtigen: Bei allen Kindern, aber gerade bei Jungs ist dieser Aspekt sehr wichtig: Kann es sich wehren, wenn es mal geschubst wird? Wird er immer als der Kleinste gehänselt werden? Wird er im Sport immer der Langsamste sein? Mein Sohn ist körperlich sehr fit: schnell, lebendig und gut im Sport. Aber er ist eher klein und zierlich. Ein Argument, um ihn nicht einschulen zu lassen? Eher nicht. Allerdings habe ich von Eltern gehört, dass ihre Kinder sehr darunter gelitten haben, weil sie immer die Kleinsten waren. Da hat dann oft nur geholfen, ihnen zu erklären, dass sie vielleicht etwas besser können, als die anderen – oder eben älter sind.
Die geistige Entwicklung des Kindes ist sehr wichtig: Kann das Kind vielleicht schon einige Dinge, die es für die Schule braucht oder muss es alles erst noch Lernen (Schreiben, Rechnen, Lesen)? Wie schnell nimmt es Dinge auf? Wie steht es im Vergleich mit einem Kind, dass schon vor einem Dreivierteljahr sechs geworden ist? Wird es immer „hinten“ dran sein? Was macht das wieder mit dem Selbstwertgefühl?
Im Vergleich mit anderen Kindern in seinem Alter, war mein Sohn sicher „normal“ entwickelt, aber wenn ich ihn da mit Kinder – und vor allem Mädchen – verglichen habe, die ein paar Monate älter waren, dann hatte er sicher noch Aufholbedarf – das Interesse fehlte ihm einfach zu sehr, als dass er sich da reingefuchst hätte. Lesen? Lieber nicht! Fussball? Auja!

Wie sehr möchte das Kind selber gerne in die Schule? Wie groß ist das kindliche Interesse schon an den schulischen Inhalten und wie verspielt ist es noch?
Zum Zeitpunkt der Einschulungstests hatte mein Sohn noch keinerlei Interesse am Lesen oder Malen. Er war sehr verspielt. Natürlich fand er das Gerede über die Schule interessant, aber wirklich „angebissen“ hat er nicht. Jetzt, ein halbes Jahre später, ist er völlig vernarrt ins Lesen. Fuchst sich da richtig rein und will es unbedingt lernen. Aber eben ein halbes Jahr später, als die meisten Kinder, die gerade eingeschult wurden und schon einige Übung haben. Das habe ich auch von vielen anderen Eltern gehört: Für diese Kann-Kinder kommt das Interesse immer genau ein halbes Jahr später da als die Schule beginnt.
Wer schon mal Leuten zugehört hat, wie es in den ersten Klassen zugeht, dann hört man vor allem, dass die Hauptenergie auf emotionale Konflikte verwendet wird. Vor allem bei Mädels. Hier ist die emotionale Reife / Stabilität und die soziale Kompetenz gefragt. Wie kann mein Kind mit Konflikten umgehen? Wie gut geht es damit um, wenn es auch mal ungerecht behandelt wird?

Mein Sohn ist ein Herzchen. Wie Jungs halt sind. Zum Zeitpunkt der Einschulungstest war er noch sehr instabil: Hat schnell geheult, wenn jemand gemein war oder ihn geärgert hat. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist er viel fitter und ich würde es ihm zutrauen. Vor einem halben Jahr? Niemals. Hier haben mir viele Eltern geholfen, die ihre Kinder schon eingeschult hatten. Sie meinten, dass das kognitive immer irgendwie funktioniert. Aber man sollte lieber auf die emotionale Seite achten. Mütter, die ihre ersten Kinder vorzeitig eingeschult haben, wollten „diesen Fehler“ nicht noch mal machen und haben dann beim zweiten lieber noch gewartet. Ein Spruch von einer Mutter ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben: „Ungefähr 80% der Energie meiner Tochter sind im ersten Schuljahr durch Zickenkriege draufgegangen. Wenn sie da nicht so stabil gewesen wäre, hätten wir das nie geschafft.“ Beeindruckt hat mich auch ein Erfahrungsbericht einer anderen Mutter, als ich gefragt habe, wie ihre Kinder die Einschulung empfunden haben: „Meine Tochter hat es ganz gut weggesteckt. Aber sie berichtet von anderen Kindern, die jetzt nach 4 Monaten immer noch jeden Morgen weinen, wenn sie in die Schule müssen.“ Sollte die Schule nicht das Tollste und Schönste sein?

Was verlieren wir, wenn das Kind noch mal ein Jahr zu Hause bleibt?
Wir haben für uns als Familie festgestellt: Eigentlich verlieren wir nichts. Natürlich haben wir uns überlegt, dass mein Sohn ein bisschen die Freiheit verliert, auch mal durchzufallen, weil er eh schon der Älteste sein wird. Aber das war es uns wert. Und selbst wenn das passieren wollte – geht die Welt unter? Wir haben die Frage eigentlich sogar umgedreht. Wir haben uns entschieden, diese Freiheit, nicht an die Schulferien gebunden zu sein, zu nutzen und noch mal in dem letzten Jahr vor der Schule unabhängig zu verreisen. Wir haben auch einige Eltern getroffen, die ihre Kinder geschnappt habe und noch mal einige Monate verreist sind – ein Luxus, der mit der Schule nicht mehr geht. Was für schöne Aussichten.
Wie sieht das Jahr aus, wenn es noch im Kindergarten bleibt? Welche Kinder bleiben im Kindergarten noch zum Spielen? Welche Möglichkeiten gibt es, das Kind in diesem Jahr noch mit anderen Inhalten oder Aktivitäten zu befüttern? Wir haben inzwischen meinen Sohn zum Fussball angemeldet: Zwei mal die Woche und manchmal auch samstags. Das hätte ich sicher nicht im ersten Jahr der Schule gemacht, weil es einfach „zu viel“ gewesen wäre. Jetzt kann er sich noch mal austoben, soziale Kompetenz und Durchsetzungskraft aufbauen. Leider sind wirklich alle Kinder in seinem Alter jetzt aus dem Kindergarten raus, aber seit dem sie weg sind, hat mein Sohn ein so tolles Selbstwertgefühl aufgebaut: Er ist jetzt der Größte, kann viel mehr, als die anderen und es tut ihm so gut, mal der Beste zu sein. Viele haben mir berichtet, dass ihre Kinder das erste halbe Jahr so im Kindergarten wirklich genossen haben, aber das zweite halbe Jahr dann eher unterfordert waren. Da sind dann leider die Eltern gefragt, einige Dinge anzubieten wie Sport, Zirkusschulen, Reisen etc. Gar nicht so einfach, denn dazu braucht man als Eltern ja auch Zeit!

Wenn ganz persönlcihe Faktoren dazu kommen
Die Einschulung ist ein großes Ereignis und die ersten Wochen und Monate sind sehr aufreibend für das Kind – es gibt viel zu verarbeiten und zu verdauen: emotional und geistig. Gibt es noch andere Ereignisse während des ersten Schuljahres, die die Stabilität des Kindes beeinflussen werden?
Nachdem wir wirklich mit all den Argumenten oben immer noch hin und her gerissen waren, war dann ein Argument das „Zünglein an der Waage“: Gerade als wir uns entscheiden mussten, haben wir erfahren, dass wir genau in dem Monat, in dem die Einschulung stattfinden sollte, ein Geschwisterchen erwarteten würden. Nachdem er nun 6 Jahre der Prinz in der Familie war, wird er also genau in diesem Monat auch noch „vom Thron gestossen“, in dem er eigentlich besonders viel emotionale Aufmerksamkeit braucht. Wenn alle Argumente nichts genützt haben, dann war das für uns das ausschlaggebende.

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Fotos: Patricia Banczyk Bewegende Momente Fotografie


Und das Fazit?

Jeder muss sein Kind am besten kennen und dann in Ruhe entscheiden. Ich habe mehr Leute getroffen, die sehr glücklich mit der Entscheidung waren, ihre Kinder erst später einzuschulen und die meisten, die ihre Kinder vorzeitig eingeschult haben, haben eher von einer „intensiven“ Schulzeit gesprochen. Damit ist statistisch nichts bewiesen und man muss trotzdem auf sein Bauchgefühl und auf sein Kind hören. Es gibt ganz sicher genug Kinder, die schon sehr fit sein und früher eingeschult werden können – gerade wenn es die zweiten Kinder sind. Wir für uns haben die Entscheidung getroffen. Und auch wenn ich manchmal ein wenig wehmütig, den Kindern heute am ersten Schultag mit ihren Schultüten zusehe, so freue ich mich auf das letzte entspannte Jahr – dann eben zu viert!

 

Liebe Ann, wir danken Dir sehr für diese ausführliche Stellungnahme zu
einem nicht immer leichten Thema! Und freuen uns sehr auf weitere Meinungen!

Herzlichst, Eure Zwergen-Königin Britta

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One comment on “Von Kann-Kindern & der Entscheidung über Freiheit oder Schule

  1. Frau Mi on said:

    Aus der Sicht einer Lehrerin…
    Ehrlich gesagt, ich weiß meist gar nicht, welche Kinder meiner Klasse Kann-Kinder sind oder nicht. Sie alle sitzen zu Beginn aufgeregt und mit leuchtenden, erwartungsvollen Augen vor mir und freuen sich darüber, dass es losgeht. Auch ich freue mich und möchte so gerne diese Vorfreude mit meinem Unterricht aufrecht erhalten. Sie alle wissen noch nicht, dass lesen, schreiben und rechnen lernen mit viel Anstrengung und Ausdauer verbunden ist. Sind sie dieser Anforderung gewachsen? Hoffentlich… Ich weiß, dem ein oder anderen Kind steht eine Enttäuschung bevor….
    Damit sie alle in der großen Gruppe Bedeutung und Wertschätzung erfahren können ist es wichtig, dass jeder und jede einzelne sich zurücknehmen kann. Wie soll ich sonst das eine Kind persönlich loben oder dem anderen zuhören, wenn es mir etwas „Im Geheimen“ anvertrauen will? Schaffen sie das?
    Wer kann sich an Regeln halten, sodass ich überhaupt den Unterricht öffnen kann und dem Bewegungsdrang der Kinder nachkommen kann?
    Wer kann im Streit bereits durchatmen ohne zuzuschlagen und seine Wut im Zaum halten, sodass wir ein gutes Klassenklima haben?
    Natürlich sind dies alles Anforderungen, die ich nun regelmäßig üben und besprechen muss. Anforderungen, damit das Lernen überhaupt funktioniert. Dies braucht Zeit und diese Zeit sollen die Kinder unbedingt bekommen… Nun ist es so, dass manche Kinder genau diese Fähigkeiten sehr lange üben müssen und noch sehr verspielt sind. Für diese ist die Schule sehr anstrengend. Klar, dass diese Kinder im Lernstoff etwas mehr Zeit benötigen. Trotz Flitzepausen, Bewegungsspielen, Entspannungszeit und vielem mehr ist es einfach so schwer, sich zu konzentrieren und still zu sitzen. Manchen Kindern setzt dies zu und sie hätten gut noch ein Jahr länger spielen können. Ich möchte gerne diesen Kindern den Druck durch Entzerrung des Lernstoffs nehmen, aber ein Kind 3 Jahre in der Schuleingangsphase zu lassen, damit es reifen kann, ist für die Eltern nach wie vor leider in der Regel ein „No Go“ und bedeutet viel vorsichtige Beratung. Ein geringeres Selbstwertgefühl ist vorprogrammiert. Schließlich vergleicht sich ein Kind stets innerhalb seiner Gruppe. Es wird kaum denken: „Das liegt daran, dass ich so jung bin und deswegen ist das okay so!“.
    Ich denke, man unterschätzt, wie viel die Kinder durch einfaches Spielen lernen und reifen. Ich weiß eines: In jeder ersten Klasse hatte ich bisher Kinder, bei denen ich dachte: Ihm oder ihr hätte ein Jahr länger zu spielen gut getan. Trotz Tricks und Achtung vor den Bedürfnissen eines solchen Kindes komme ich um Zurechtweisungen und gelegentlicher „schlechter Stimmung“ zwischen uns nicht herum. Dies bin ich den anderen Kindern der Klasse schuldig.
    Eine Schule kann, egal wie differenziert oder offen sie arbeitet, einem Kind nicht gerecht werden, für das es noch so sehr anstrengend ist, sich zurückzunehmen, nur zu ausgewählten Zeiten zu toben, sich einen längeren Zeitraum am Stück anzustrengen und zu konzentrieren. Und dies ist nunmal auch eine Frage der Reife aber für erfolgreiches Lernen nötig. Die Tatsache, dass ich diesem Kind Inhalte eines Lehrplans vermitteln muss und die Eltern große Hoffnungen in die schulische Laufbahn legen, übt Druck aus.
    Sicher, Ausnahmen bestätigen die Regel. Ist ein Kind im Kindergarten gelangweilt, wirkt es unausgeglichen oder verändert es sogar sein Verhalten, wird z. B. aggressiv oder in sich gekehrt, so sollte es sicherlich zum Kann-Kind werden. Das werden Eltern sicherlich dann auch spüren.
    Mein Fazit: Lieber später als früher!Der Ernst des Lebens beginnt früh genug!

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